Chaos ist die Regel

Rezension

Richard T. Pascale, Mark Millermann, Linda Gioja, Martin Herrmann (2002): Chaos ist die Regel. Wie Unternehmen Naturgesetze erfolgreich anwenden.
(München:) Econ. 303 Seiten.

Über die Autoren

R.T. Pascale hat sich mit anderen Veröffentlichungen (z.B. "The Art of Japanese Management") bereits einen Namen in der Business-Literatur gemacht. Er und seine amerikanischen Mitautoren M. Millermann und L. Gioja sind als Organisations- bzw. Unternehmensberater tätig.
M. Herrmann arbeitet ebenfalls als Berater. Er steuert ein letztes Kapitel des Buches mit einem deutschen Fallbeispiel bei (Werk Augsburg der EADS).

Zum Thema des Buches

Vielen Veränderungsmodellen im sozialen bzw. wirtschaftlichen Bereich liegt letztlich das "Maschinenmodell" aus dem 19. bzw. 20. Jahrhundert zugrunde. Die Idee dabei ist, dass sich durch Kontrolle der "richtigen" Stellschrauben der gewünschte Erfolg quasi von selbst einstellt (z.B. Kostendämpfungsprogramme, total quality management etc.). Tatsächlich stellt sich der Erfolg aber erschreckend häufig eben nicht ein, wie die vielen gescheiterten Fusionen zwischen Unternehmen zeigen. 
In neuerer Zeit gewinnen daher immer mehr Modelle der Chaostheorie an Bedeutung. Hier ist die Annahme, dass es letztlich derart viele Einflussfaktoren gibt, dass sich das Ergebnis definitiv nicht voraussagen lässt. Ein Beispiel ist die Klimaentwicklung, aber auch für lebende Systeme gilt dieses (beispielsweise ein Ameisenhaufen). Doch chaotische Systeme folgen durchaus übergeordneten Gesetzmäßigkeiten, wenn diese Systeme länger bestehen. So bilden sich teilweise spontan neue Ordnungen bzw. Muster heraus (sogenannte Emergenzen). Lebende Systeme entwickeln sich meistg um so erfolgreicher, je mehr sie herausgefordert werden.
Die Autoren übertragen diese Modelle nun auf die Unternehmensentwicklung. Eine zunächst überraschende Schlussfolgerung daraus ist, dass ein lange bestehendes Gleichgewicht mit Stillstand gleich zu setzen ist und ein Vorbote des Endes eines Unternehmens sein kann.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. In jedem Teil werden umfangreiche Fallbeispiele von Unternehmen aufgeführt (Sears, Monsanto, HP u.a.). Im ersten Teil geht es um die Bedrohung durch ein zu lange bestehendes Gleichgewicht (z.B. immer gleiche Produkte und Vertriebswege) in Unternehmen. Teil 2 behandelt, wie Unternehmen am Rande von internen "chaotischen" Prozessen einerseits in Gefahr gebracht werden, aber andererseits auch ganz neue, quasi "evolutionäre" Prozesse auftreten. Eine wichtige Rolle spielen dabei "Attaktoren", in diesem Zusammenhang sind das meist übergreifende, die Mitarbeiter motivierende Visionen. In Teil 3 wird beschrieben, wie sich lebende Systeme nach einer Störung neu organisieren und dabei Strukturen bilden (Emergenz). Teil 4 listet praxisbezogen den Ablauf einer unternehmerischen Neuausrichtung nach diesem Modell auf.

Einschätzung des Buches

Das Buch liefert einen extrem wichtigen Beitrag zur Theorie der Veränderung komplexer Systeme. Der Blick auf ein soziales System wird stark verändert. Insofern ist es eigentlich jedem, der mit Veränderungen zu tun hat, sehr zu empfehlen.
Nachteilig ist etwas die Länge des Buches, einige Punkte wiederholen sich. Manchmal ist die Argumentation auch nicht ganz schlüssig, es wird nicht genügend beachtet, dass sich komplexe Systeme auch im negativen Sinn des Wortes chaotisch entwickeln können und darin auch Gefahren bestehen. Zudem sind die Beispiele am Anfang noch zu sehr von der Internet-Blase geprägt (die amerikanische Originalausgabe ist 2000 erschienen), im Verlaufe des Buches legt sich das aber.

Christian Hemschemeier